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Prolog

Ein Volk schreibt sein Theaterstück – Teil 1 und 2

„Erst die Erinnerung gibt dem Leben einen Sinn.“ Marcel Proust.

Die Regisseurin: Isabella Mamatis

Während meiner 5 jährigen Zusammenarbeit mit ca. 3500 Schülern mit Migrationshintergrund, die ich für die Inszenierungen der Langen Tafeln vorbereitete, zeigte sich mir bei den meisten eine auffällige Identitätslosigkeit und ein unglaubwürdiges Desinteresse gegenüber ihrer eigenen Familiengeschichte. Die Eltern und Großeltern erzählen nichts von den Motiven, Schicksalen und Erlebnissen zu ihrer Einwanderung nach Berlin, und somit bleibt den Kindern der Zugang zur Migration der Eltern/Großeltern verbaut. Dahinter verbirgt sich ein Gemisch aus Schamgefühl, seelischer Überforderung bis hin zu gesundheitlichen Schäden der Eltern, als Folge ihrer Migration. Viele Kinder der 2. und 3. Migrationsgeneration können demnach ihre eigene Berliner Existenz nicht mit der Geschichte ihrer Eltern in Verbindung bringen. Sowohl bei nationaler, wie internationaler Migration. Ihnen fehlt nicht nur die Empathie für die Migrationsleistung ihrer Eltern, sondern auch die Wertschätzung dafür.“

Diese Tatsache macht die Kindern und Jugendlichen unsicher, gereizt und unanpassungsfähig.
Weil sich die Migrantengenerationen untereinander nicht austauscht, kann auch keine Erzählkultur, die das kollektive Migrationsbewußtsein spiegelt, entstehen. Mitgefühl und Katharsis fehlen, um sich gegenseitig angenommen, respektiert und verstanden zu fühlen.

Aus diesem Anlass heraus initiierte ich 2010 mit 300 Kindern der zweiten und dritten Migrations-Generation aus Treptow, Neukölln und Kreuzberg eine Schreibwerkstatt. Die Kinder (11 bis 18 J) wurden in mehreren Workshops darauf eingestimmt, in einem Oral History Verfahren zu Hause mit ihren Eltern über deren Migrationserlebnisse und –gefühle zu sprechen und gemeinsam aufzuschreiben“.

Damit war das familiäre Schweigen über die Migrationserfahrung gebrochen und gleichzeitig übernahm hier zum ersten Mal die zweite und dritte Migrationsgeneration die Verantwortung für die Bewahrung des gelebten Migrationswissen ihrer Eltern- Großeltern. Sie, die entwurzelte Generation, die Kinder der Migranten bauten die Brücke zwischen ihren Eltern und ihrer Heimat Berlin und gaben sich damit selbst einen neuen Platz.(Selbstintegration)

In einer Pressekonferenz, die ich zum 26. Juni 2010 einberief, stellte ich der Öffentlichkeit die Ergebnisse des Prozesses vor und wir, die Kinder Lehrer, Eltern, in der Aula der Neuköllner Rütlischule übergaben dem Integrationsbeauftragten des Berliner Senats, Herrn Jürgen Piening und seiner Vorgängerin Frau Barbara John, eine Chronik mit 300 Erzählungen und ergreifenden Erinnerungssplittern. Damit gaben die Kinder und Enkel der Migrationsgenerationen den statistischen Zahlen der Einwanderung ihrer Eltern und Großeltern nach Berlin ihre Wertschätzung und ein persönliches Antlitz. Wir gründeten damit eine neue Erzählkultur der Migration., die sich unter einer künstlerischen Gestaltung bis hin zu einem Theaterstück weiterentwickeln soll.

Im zweiten Schritt verdichteten die Autor/in Wolf Hogekamp, Ulf Mailänder, Isabella Mamatis und Marco Wengler die Geschichten, mittels der Collage-Technik, zu 12 spannenden literarischen Abenteurern des Homo Migrantes- Berlin. Ein Szenischer Lesewettbewerb, bei dem das Publikum die Jury ist, sollte die Lieblingsgeschichte herausfinden, die dann im dritten Teil als Vorlage für das zu entwickelndes Theaterstück dient.

Am 10.Februar und am 14.März 2011 fand im Deutschen Theater dieser szenische Lesewettbewerb vor einem ungewöhnlich gemischten Publikum statt. Die Publikumsjury (zirka 400 Berliner) setzte sich aus den Schülerautoren, ihren Eltern und Interessierten zusammen. Sie kürten die Geschichte ‚Migration ist Abschied von einer Großmutter‘ zu seiner Nr. 1 als die Geschichte mit dem stärksten Identitätsfaktor. Sie ist damit die Vorlage für das zu entwickelnde Theaterstück:

„Planet der Herzen“.